© Leipziger Volkszeitung vom Mittwoch, 28. September 2005
Ein Frosch aus Licht und das Nichts im Garten
Es blüht wie bei Rilke, auch wenn der Sommer nicht sehr groß war. Tief biegt das Obst die kleinen Bäume. Das Gras könnte mal gemäht werden. Hier, in Kleingarten 266, deutet erstmal nichts auf eine freundliche Übernahme durch die Kunst. Auch die Nachbarn in der Anlage II der Sparte von Anger-Crottendorf ahnen wenig.
Dabei dürfte die Landung Außerirdischer kaum mehr verwundern, als die Zustände im Innern dieser Laube. Über 30 Jahre hatte eine Familie hier ihr Feierabendparadies. Bis zum 25. Juli. Da wechselte die Parzelle ihren Besitzer. Ein Paar Stiefel steht noch da. Ein selbst gebautes Radio. Auf Plakaten vergilben Palmen oder Ratschläge zum Sammeln von Heilpflanzen. In diesen Bleibseln einer Familienhistorie befindet sich - nichts.
Ein Kubus aus Rigips und Glas, 2,10 x 2,12 x 2,14 Meter groß und verschlossen. Innen nicht nur sauber, sondern rein. Ein Reinraum, normalerweise etwa zur Produktion von Mikrochips oder in der Lebensmittelindustrie eingesetzt. Partikelfrei, steril, leer. Die Schweizer Künstler Rudolf Steiner und Barbara Meyer Cesta haben ihn gebaut, als "geschichtsfreien Raum". Dieses Nichts in der Gartenlaube ist vielleicht der seltsamste Teil eines Kunstaustauschs zwischen Leipzig und Bern, dessen Titel an James Bond denken lässt und etwas notdürftig die Vielzahl der vertretenen Positionen überspannt: "The world is not enough", kuratiert von der Leipziger Kunsthistorikerin Christine D. Hölzig und Gabriel Häussler aus Bern.
Eine gleichnamige Ausstellung wird am Freitag im Städtischen Kaufhaus eröffnet. Je zwölf Künstler (darunter zwei Paare) sind dabei. Förderer sind neben vielen anderen die Kulturstiftung des Freistaats sowie Stadt und Kanton Bern. Bereits vor Jahren hatte der Leipziger Medienwissenschaftler und Musiker Jasper A. Friedrich die Berner Künstlerin Franziska Ewald kennengelernt. Die Idee entstand, die Städte einander näher zu bringen. Mit dem Bund bildender Künstler auf Leipziger und dem Quartier Culturel auf Berner Seite wurden Träger gefunden. Nächstes Jahr soll die Schau in die Schweiz kommen.
Rudolf Steiner und Barbara Meyer Cesta haben für sich das Motto gedreht. Die Welt ist nicht genug. In der Gartenlaube muss sie draußen bleiben. "Wir wollten eigentlich Unruhe in die Stadt bringen", sagt Meyer Cesta. "Aber hier ist so viel Dichte, Geschichte." So sei das Gegenteil entstanden. Ein geschichtsfreier Raum. Natürlich eine Fiktion, eine Utopie. Die Welt vor dem Urknall. Ein Neustart. Am Anfang war das Wort - aber davor? "Kein Geständnis, kein Verrat, kein Seufzer, kein Aufatmen, kein Ausblick, weder Wiedergeburt, noch Auferstehung", schreibt der Schweizer Dichter Franz Dodel über das Projekt der beiden, die nicht nur künstlerisch als Paar auftreten.
Ihre Idee haben sie mit fachkundiger Anleitung sehr weit in die Realität und damit ins Absurde gedehnt. Es fehlen weder ein Schleusenraum mit Schutzkleidungsablage, noch ein Klimagerät, das den leichten Überdruck erzeugt, der ein Eindringen von Partikeln verhindert. Vergangenen Freitag kamen zwei Mitarbeiter der auf Reinraum-Reinigung spezialisierten Firma Profi-Con in die Parzelle. "Spinnen die?" - die Frage sei durchaus erlaubt, sagen die Künstler. "Wir tun etwas, das man nicht versteht, dem man sich aber auch nur schwer entziehen kann."
Bei der Ausstellung im Städtischen Kaufhaus ist die Arbeit mit einer Dokumentation vertreten. Die Laube kann besichtigt werden. Einen Termin muss man via Internet absprechen. Eine Kontaktperson führt Besucher hin. Auch das zweitgrößte Objekt haben Schweizer beigesteuert. Ein monströser Frosch aus PVC, Luft und Licht macht sich da breit. Vier mal vier Meter breit, 2,20 Meter hoch, von Victorine Müller. Zwei Klohäuschen hat Reto Leibundgut aufgestellt. Drinnen, ins Holz geritzt, lauern saftige Herrenklosprüche in Frakturschrift. Gleich vier Schweizer sind mit Multimedia-Arbeiten gekommen. Drei mit Fotografie.
Leipzig ist, und das überrascht keineswegs, mit viel Malerei am Start, unter anderen mit Wolfgang KE Lehmann, Hans Aichinger oder Christine Ebersbach. Hael Yxxs lädt in eine begehbare Spiegel-Installation, in der der Betrachter, unendlich vervielfacht, einem alten Bekannten begegnet: sich selbst. Annette Schröter hat zwei Papierschnitte beigesteuert. Schweiz, Deutschland, da war doch was ... - Das Wunder von Bern ereignet sich gewissermaßen in der Installation von Heinke Binder, die zwölf je zwei Meter große Figuren in eine Art Tischfußball-Situation gesetzt hat. Fotografische Arbeiten sind von Bertram Kober und Alexander Schmidt zu sehen. Wem das alles zu viel ist, dem bleibt ja noch der Garten in Anger-Crottendorf ...
Jürgen Kleindienst
Eröffnung: Freitag (20 Uhr) Städtisches Kaufhaus (Neumarkt 9-19), geöffnet Di-Sa 15-19, So 11-16 Uhr, bis 25. Oktober;
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